Liebe Landfrauen!
„Ein bisschen Frieden…“ Die Älteren von Ihnen werden sich noch an das Lied von Nicole erinnern, mit dem sie sich mit zarter Stimme und Gitarre in unsere Herzen und in den Sieg des Eurovision Song Contest 1982 sang. Es war damals wie heute eine Zeit, in der es intensiv um Frieden ging. Der Nato-Doppelbeschluss, die Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen in Europa – und die Friedensbewegung mobilisierte Tausende, die auf die Straße gingen, mich eingeschlossen.
„Ein bisschen Frieden…“ Mir gefiel das Lied durchaus, aber ich dachte bereits damals: Darfs vielleicht ein bisschen mehr sein? Oder geht das überhaupt: Ein „bisschen“ Frieden? Ein „bisschen schwanger“ geht ja auch nicht. Aber vielleicht ist ja „ein bisschen“ mehr als gar nichts.
Heute an diesem Sonntag beginnt wieder die Friedensdekade. In ihr werden bis Buß- und Bettag in unseren Kirchen die Themen Krieg, Gewalt und vor allem Frieden intensiv in den Blick genommen. Das biblische Wort für diese Woche ist deshalb auch eine der Seligpreisungen aus der Bergpredigt Jesu in Mt 5:
Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Nicht nur in den Kirchen, in unserem ganzen Land wird zurzeit kontrovers diskutiert: Wie sollen wir uns im Krieg Russlands gegen die Ukraine verhalten? Ist es richtig, Waffen und Material, gar „schwere Waffen“, wie man oft hört, ohne dass das genau definiert wird, an die ukrainischen Soldaten zu liefern? Oder wäre es nicht besser, allein auf Diplomatie zu setzen und die Ukrainer zu gewaltlosem Widerstand zu ermuntern, getreu der Weisung Jesu: Wenn dir jemand auf die rechte Wange schlägt, dem biete auch die linke dar? Ist das nicht der bessere, der wahre Weg zum Frieden?
Zuerst einmal: Ich bin mir nicht mehr so sicher, dass Jesus so einen radikalen und absoluten Verzicht auf Gewalt gepredigt hat. Die Bergpredigt ist zuerst einmal ein Wort an seine Anhänger und Anhängerinnen, an Einzelpersonen, und nicht an ein ganzes Volk. Sie ist Trost und Gewissheit für Menschen, die Unrecht und Verachtung in seiner Nachfolge erleben. Und sie öffnet die Augen für ein neues Denken und ein neues Verhalten: Wir müssen nicht immer die alten Wege gehen, wir können die Sachen auch neu, ganz anders sehen, wir können neue, bisher ungewohnte und auf den ersten Blick unlogische Methoden wählen – dabei aber eventuell bereit sein, Leid auf uns zu nehmen und Opfer zu bringen. Das muss aber jeder für sich entscheiden, es anderen aufzunötigen geht nicht, schon gar nicht, wenn man selbst in Sicherheit ist! Denn dass Menschen bereit sind, sich selbst zu verteidigen, ist Jesus nicht fremd: An mehreren Stellen der Bibel wird berichtet, dass einige seiner Jünger Schwerter mit sich führten – und zwar nicht nur, um damit Brot zu schneiden, sondern als Umherwandernde sich in Gefahr auch gegen zwei- und mehrbeinige Feinde verteidigen zu können.
Und schließlich: Was ist eigentlich „Frieden“ – biblisch Schalom? Jedenfalls mehr als Waffenruhe und Ende der Kampfhandlungen. Jesajas große Friedensprophezeiungen werden wir bald in der Adventszeit wieder hören: Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander weiden, und ein kleiner Knabe wird sie leiten… (11,6). Friede nicht nur als Ende der Gewalt, sondern als Ausgleich, Gemeinschaft, Heil und Wohlergehen, Glück, Zufriedenheit und umfassende Gerechtigkeit für alle, selbst für die Tiere und die Pflanzen, für die gesamte Schöpfung. Und vor allem Nähe und Übereinstimmung mit Gott.
Einen solchen Frieden können wir nicht selbst schaffen, der wird uns geschenkt von Gott. Aber wir können daran mitwirken, dass er unter uns anbricht. Das meint Jesus auch mit seiner Bergpredigt, nicht mehr und nicht weniger – unser menschliches Zutun, dass Friede werden kann. Das setzt aber voraus, dass wir weiterhin die Welt so sehen, wie sie ist: Voller Schönheit und menschlicher Nähe, voller Hoffnung – aber zugleich auch voller Konflikte, Probleme, menschlichem Leid und vielen ungelösten Fragen. Sie alle kennen die mannigfaltigen Krisen, die unsere Welt auch neben dem Ukrainekrieg zurzeit erschüttern. Die können wir nicht kleinreden, sondern müssen sie beherzt und verzichtsbereit angehen. Auf jeden Fall dürfen wir nicht das Leid der Menschen übersehen oder totschweigen – ob in der Ukraine oder anderswo in der Welt, verursacht durch Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit oder auch die Auswirkungen des Klimawandels. Wir müssen helfen, damit sie sich selbst helfen können – im Extremfall meines Erachtens leider auch mit Waffen zur Selbstverteidigung, auch wenn das unendlich schwerfällt. Ich bin mir bewusst, dass das andere anders sehen, das ist ein Dilemma, das wir aushalten müssen.
Sie als Landfrauen wissen, was Helfen heißt. Sie haben das schon unzählige Male getan, was ich sehr bewundere, gerade auch jetzt wieder mit vielen tollen Ideen und Aktionen für die Menschen in der Ukraine! „Ein bisschen Frieden“ ist mir nach wie vor nicht genug. Aber wir dürfen darauf vertrauen: Wenn wir weltoffen, realistisch und mit dem mitfühlenden Blick für die anderen an unserer Welt und zu ihrem Wohl mitarbeiten wird unser Tun bei allen Meinungsverschiedenheiten gesegnet sein – und wir werden vielleicht und hoffentlich etwas von dem erleben, was den alten Propheten und auch Jesus vorschwebte, wenn sie vom Frieden sprachen. Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Das kann auf ganz unterschiedliche Weise geschehen, und ja, Gottes Kinder können sich auch irren. Aber wenn ihre Denken und Tun vom Streben nach Frieden geleitet ist, wird Gott an ihrer Seite sein. Amen.